Freiräume in neuen Wohnsiedlungen : Lehren aus der Vergangenheit ; Qualitäten für die Zukunft?

  • Open spaces in new residential projects : lessons from the past ; quality for the future?

Sutter-Schurr, Heidi; Selle, Klaus (Thesis advisor)

Aachen : Publikationsserver der RWTH Aachen University (2008)
Doktorarbeit

In: PT_Materialien 24
Seite(n)/Artikel-Nr.: 345 S. : Ill., graph. Darst.

Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 2008

Kurzfassung

Ausgangssituation und Fragen: Ausgehend von den empirischen Untersuchungen zu Bewohnerwünschen an Wohnfreiräume, die in den 1980er Jahren durchgeführt wurden und in regelrechte "Anforderungskataloge" mündeten, sowie der Entwicklung des Wohnungsmarkts vom Anbieter- zum Nutzermarkt, stellten sich zwei zentrale Fragen:1. Welche Anforderungen wurden in der Fachdiskussion an Wohnfreiräumen in neuen Siedlungen - unter besonderer Berücksichtigung ihrer sozialen Charakteristika - gestellt?2. Welchen Bestand haben sie in der Praxis? Diese Leitfragen werden zunächst durch drei weitere Aspekte konkretisiert, die als "rote Fäden" die Arbeit durchziehen: a) Welche Arten von Freiräumen sind gemeint? Was sind ihre besonderen Merkmale, was unterscheidet sie von jeweils anderen?b) Für was und wen sind sie von Bedeutung?c) Unter welchen Bedingungen "funktionieren" sie? Der erste Blick auf realisierte neue Wohnquartiere warf weitere Fragen auf, z.B. ob Fachauffassungen aus der Literatur das praktische Handeln vor Ort prägen, ob Praktiker ihre Arbeit auf wissenschaftliche Erkenntnisse gründen etc. Daher wurde eine vierte Frage notwendig:d) Auf welches Wissen stützen die Fachleute ihr praktisches Handeln? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, waren drei Arbeitsschritte notwendig:1. Auswertung der entsprechenden Literatur zur Identifizierung von Kriterien und Anforderungen an die Gestaltung von nutzbaren Wohnfreiräumen; 2. Analyse und Dokumentation elf neuerer Wohnquartiere; 3. Befragung von Experten (Planungsbüros, Wohnungswirtschaft, Wissenschaft) zu ihrer Sicht von Wohnfreiraumqualitäten, vermuteten Nutzeranforderungen, den Realitäten der Planungspraxis sowie ihren Wissensgrundlagen zum Thema, verbunden mit der Frage nach geeigneten Übermittlungsformen von For-schungsergebnissen seitens der Wissenschaft.Die wesentlichen Ergebnisse: Sowohl das Vorhandensein aller drei Freiraumcharaktere wie auch grundlegende Anforderungen wie Zugang, Erreichbarkeit, Ablesbarkeit etc. wurden nach wie vor als wichtig erachtet. Dem entsprechen jedoch die untersuchten Beispiele nur selten. Am nächsten kommen die privaten Freiräume den formulierten Anforderungen. Die übrigen Wohnfreiräume sind oft so "uneindeutig" gestaltet, dass sie nicht klar als öffentlich und noch seltener als gemeinschaftlich eingeordnet werden konnten. In den Interviews zeigte sich dann v.a. an der von vielen Praktikern favorisierten "Durchlässigkeit" des Wohnungsumfelds, dass man sich häufig nicht im Klaren war über die baulichräumlichen Voraussetzungen, die klar ablesbare Freiraumkategorien statt diffuser Flächen erzeugen. Von den Experten wenig wertgeschätzt werden heute offenbar gemeinschaftliche Freiräume und sind folglich in den Beispielen kaum anzutreffen. In der Fachliteratur werden sie jedoch als d e r Ort gesehen, an dem Kommunikation und soziale Kontakte unter den Bewohnern stattfinden können. Heute sind sich die Fachleute jedoch uneins über die Notwendigkeit der Nutzbarkeit wie auch über die Bedeutung nachbarschaftlicher Beziehungen: Die einen bezeichneten die "Idee vom Kommunikationsfreiraum" schlicht als "romantisch", da soziale Kontakte heute meist in anderen Zusammenhängen stattfänden, die anderen hielten sie für besonders bedeutsam. Strittig war auch, ob die Bedeutung der Wohnfreiräume schon mit ihrem Vorhandensein (Adressbildung, grüner Anblick) erschöpft ist oder doch auch in aktiver Nutzung besteht. Bei aller Unterschiedlichkeit der Standpunkte war dennoch immer wieder zu hören: "Man muss genau hinschauen" - ein Plädoyer zumindest einiger Fachleute für eine differenzierte Betrachtung der Nachfrager (z.B. nach Lebensphasen, beruflicher Situation, Lebensstile …). Angesichts dieser Erkenntnis erstaunt das geringe Interesse der Experten an der Beteiligung der Bewohner umso mehr: Eine Befragung der "Kunden" wird zwar von einigen als unverzichtbar erachtet, von der Mehrheit der Praktiker aber skeptisch gesehen oder kategorisch abgelehnt. Gefragt, auf welchen Grundlagen die Planungen der Befragten dann also basieren, führen die meisten "Erfahrung" an. Veröffentlichungen über Nutzeranforderungen sind meist gar nicht bekannt. Stattdessen wird neben Erfahrung Wissen herangezogen, das vor 20 Jahren im Studium erworben wurde. Der letzte Punkt ist eine Herausforderung sowohl für die Praktiker wie für uns in der Wissenschaft Tätigen: Wenn Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten von Bauherren, die sich am Markt behaupten müssen, ernst genommen werden wollen, dann werden sie künftig gut beraten sein, sich nicht auf vor Jahrzehnten angeeignetes Wissen, Annahmen und die eigene Intuition zu verlassen, sondern neue Ergebnisse der Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen. Diese ist gefordert, ihre Erkenntnisse so aufzubereiten, dass den veränderten Formen der Wissensaneignung Rechnung getragen wird.

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